Warum gibt es Menschen, die in den schwierigsten Situationen gelassen bleiben, während andere schon bei dem kleinsten Problem in Stress geraten? Eine wichtige Rolle spielt dabei die Selbstwirksamkeit also der Glauben, eine schwierige Situation meistern zu können oder nicht. – Autor: GS

In seinem Buch „Rotkäppchen und der Stress“ beschreibt Manfred Spitzer ein interessantes Experiment (1):

Eine Ratte in einem Käfig erhält einen kleinen elektrischen Schock über den Drahtfußboden. Das Ereignis wird durch das Aufleuchten eines Lichts angekündigt. Die Ratte kann den schmerzenden Stromstoß abwenden, indem sie rechtzeitig nach dem Signal einen Schalter betätigt. Ab und zu ist sie jedoch zu langsam und bekommt einen Stromschlag.

In einem weiteren Käfig in einem anderen Raum sitzt eine weitere Ratte, die immer dann einen Stromstoß erhält, wenn dies auch im anderen Käfig der Fall ist. Ihr ist es aber im Gegensatz zu ihrer Artgenossin nicht möglich den elektrischen Schock zu verhindern.

Welche Ratte hat nun mehr Stress? Man könnte meinen die erste, weil sie bei Aufleuchten des Lichtes schnell reagieren muss, während das zweite Tier nichts tun muss, weil sie den elektrischen Schock ohnehin nicht abwenden kann. In Wirklichkeit hat jedoch die zweite Ratte die größere Konzentration von Stresshormonen.

Stress ist gleich Kontrollverlust

Spitzer schließt daraus: „Nicht die unangenehmen Erfahrungen an sich bewirken Stress, sondern das Gefühl, ihnen machtlos ausgeliefert zu sein…. Gestresst sind wir immer dann, wenn uns die Kontrolle abhandenkommt.“ (2)

Daraus folgt, dass nicht die Anstrengung an sich Stress erzeugt, sondern das Fehlen von Kontrolle. Diese Sichtweise macht sehr gut verständlich, warum auch arbeitslose Menschen Burnout bekommen können. Obwohl sie keine anstrengenden Tätigkeiten ausführen müssen, verursachen die Sorgen um Finanzen und Zukunft großen Stress.

 

Die Relevanz von Selbstwirksamkeit für Stressbewältigung und Burnoutprävention

Was bedeutet diese Erkenntnis nun für Stressbewältigung und Burnoutprävention? Aus meiner Sicht ist bei Burnoutgefahr besonders auf jene Situationen zu achten, die uns überfordern und von denen wir glauben, sie nicht meistern zu können.

Das bedeutet nicht, dass wir schwierigen Umständen immer aus dem Weg gehen sollen. Sich Problemen nicht zu stellen, ist auf Dauer sogar kontraproduktiv. Gerade indem wir heikle Situationen meistern, stärken wir unsere Selbstwirksamkeit und reduzieren in der Folge Stress.

Allerdings sollten wir versuchen, mehr Kontrolle in diesen Situationen zu erlangen, indem wir uns zusätzliche Ressourcen aufbauen. Wir könnten zum Beispiel andere Menschen um Hilfe bitten oder uns zusätzliches Wissen, das uns mehr Handlungsalternativen aufzeigt, aneignen.

 

Selbstwirksamkeit erhöhen durch aktives Handeln

Albert Bandura sieht in seiner Theorie der Selbstwirksamkeit drei Möglichkeiten, diese zu steigern: Aktives Handeln, stellvertretende Erfahrungen und mündliches Überreden (3):

Mit aktivem Handeln sind Erfahrungen durch eigenes Tun gemeint. Eine höhere Selbstwirksamkeit entsteht, indem wir die Erfahrung machen, heikle Situationen gut zu bewältigen. Dieses Phänomen konnte ich sehr gut im Tennissport beobachten:

Unerfahrene Spieler werden schnell nervös, wenn sie in einem bedeutenden Spiel stehen, während arrivierte Tennisspieler ruhig bleiben und sich bestmöglich konzentrieren. Die Erfahrung ähnliche Spiele schon gewonnen zu haben, reduziert ihren Stress.

Daher ist es wichtig sich Herausforderungen zu stellen (viele Spiele zu spielen) und positive Erfahrungen zu sammeln. Dabei müssen wir darauf achten, dass wir uns bewältigbare Ziele setzen. Wer sich selbst die Latte ständig zu hoch legt, ist nicht nur frustriert, sondern verliert auch den Glauben an die eigene Kompetenz. So wird ein Spieler, um beim Beispiel Tennis zu bleiben, der sich nur mit weit überlegenen Gegnern misst, kaum Selbstwirksamkeit aufbauen.

 

Selbstwirksamkeit durch Beobachtung und Zusprache von anderen

Bandura sieht auch stellvertretende Erfahrungen als Stimulanz für Selbstwirksamkeit. Indem ich andere Personen dabei beobachte, wie sie schwierige Situationen bewältigen, erhöht sich mein Glaube dies auch zu können.

Zudem kann auch die glaubhafte Ermutigung von anderen mich dazu bringen, mir selbst mehr zuzutrauen.

Somit können Personen aus meinem Umfeld durch ihr Beispiel oder ihren Zuspruch meine Selbstwirksamkeit ebenfalls positiv beeinflussen. Dies ist mit ein Grund warum ein soziales Netzwerk wichtig für Resilienz und Stressbewältigung sind.

 

Selbstwirksamkeit und Ziele

Wir sollten uns für Dinge im Leben einsetzen, die wir auch tatsächlich beeinflussen und gestalten können. Überfordern uns unsere Aufgaben langfristig, kann dies zu Burnout führen.

Es lohnt sich daher gelegentlich, die wichtigen Ziele in unserem Leben auf ihre Erreichbarkeit zu prüfen.

Das folgende Zitat von Reinhold Niebuhr haben Sie vielleicht schon gehört:

„Gott gebe mir die Gelassenheit, Dinge hinzunehmen, die ich nicht ändern kann, den Mut, Dinge zu ändern, die ich ändern kann, und die Weisheit, das eine vom anderen zu unterscheiden.“

Kein schlechtes Rezept für eine gute Selbstwirksamkeit!

Artikeldownload

 

(1) Spitzer, Manfred (2014): Rotkäppchen und der Stress – (Ent-)Spannendes aus der Gehirnforschung, Stuttgart: Schattauer GmbH, S.1ff

(2) Spitzer, Manfred (2014): Rotkäppchen und der Stress – (Ent-)Spannendes aus der Gehirnforschung, Stuttgart: Schattauer GmbH, S.3

(3) Helga E. Schachinger (2002): Das Selbst, die Selbsterkenntnis und das Gefühl für den eigenen Wert, Bern: Verlag Hans Huber, S.167ff

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