Wir leihen einem Freund unser Auto, obwohl wir seinen Fahrkünsten nicht trauen. Wir backen einen Kuchen für das Kindergartenfest, obwohl wir halbkrank sind und im Bett liegen sollten. Wir übernehmen das neue Projekt, obwohl wir genau wissen, dass es eigentlich nicht zu unserem Aufgabenbereich gehört. Ob im Privaten oder im Job – vielen von uns fällt es unglaublich schwer ‚Nein‘ zu sagen. Mit dem Resultat, dass wir uns in ungewollte Situationen begeben, uns über uns selbst ärgern und uns in den meisten Fällen zu viel abverlangen. Nicht ‚Nein‘ sagen zu können ist eine zentrale Quelle für Stress und Überlastung – wer es also schafft, ungeliebten Dingen und Menschen in seinem Leben eine klare Absage zu erteilen, der leistet damit einen wichtigen Beitrag im Sinne der Stressbewältigung und Burnoutprävention. – Autor: GF

S. ist Profi in ihrem Job und liebt was sie tut. Seit sie wieder aus der Karenz zurück ist, arbeitet sie Teilzeit. Ein neues Aufgabengebiet sollte ihr ermöglichen, ihren Beruf in der stressigen Branche auch in 20 Stunden gut ausüben zu können. Als „Mädchen für alles“ ist sie nun Ansprechpartnerin für viele Themen, fühlt sich gebraucht und bekommt fast jede Woche neue, spannende Herausforderungen auf den Tisch. Ihr Chef weiß um ihre Verlässlichkeit und teilt sie deshalb auch immer wieder für Sonderaufgaben ein, beauftragt sie mit all jenen Projekten, die ihre Kollegen wegen Überlastung abgelehnt haben. D. will ihren Chef auf keinen Fall enttäuschen, arbeitet deshalb oft auch am Wochenende. Jeder Versuch, ihre Arbeitsmenge nicht noch weiter zu erhöhen scheiterte bis jetzt. „Ich sage ja ‚Nein‘, aber er hört mich nicht. Und damit die Sachen nicht liegen bleiben, kümmere ich mich dann halt doch darum.“

So wie S. geht es vielen von uns. Aber warum ist das so? Warum fällt es uns so unglaublich schwer, ‚Nein‘ zu sagen und zu einem ‚Nein‘ auch zu stehen? Warum lassen wir uns überreden, stellen unsere Bedürfnisse zurück, verausgaben uns obwohl wir längst merken, dass wir das, was wir da gerade tun, nicht tun wollen oder einfach auch nicht mehr können?

„Die meisten Kinder wurden erzogen, zu gehorchen, freundlich und liebevoll zu sein und ihre eigenen Interessen hinter die der anderen zu stellen.“[1] Wir haben gelernt, höflich und hilfsbereit zu sein, sagen ‚Ja‘ aus Angst jemanden zu enttäuschen, etwas zu verpassen oder weil wir fürchten, nach einem ‚Nein‘ nie mehr gefragt zu werden. Oft ist der innere Antreiber „Sei beliebt“ Grund dafür, warum das ‚Nein‘-Sagen so schwer fällt. Wer es allen recht machen und für jeden da sein will, wer möglichst harmonisch mit seinem Umfeld auskommen und angenommen sein möchte, der sagt zu vielen Dingen ‚Ja‘. Selbst, wenn er spürt, dass ihm so ein ‚Ja‘ mitunter widerstrebt und ein ‚Nein‘ wichtig wäre für seine persönliche Energiebilanz.


Jedes ‚Nein‘ zu anderen, ist ein ‚Ja‘ zu sich selbst

Fakt ist aber: Wer immer ‚Ja‘ sagt und bei allem mitspielt, der darf sich nicht wundern, dass der andere alles nimmt, was er bekommen kann. Wer immer ‚Ja‘ sagt, zeigt keine Grenzen auf. Grenzen gehören aber zum Leben dazu – alle Systeme auf unserer Erde haben Grenzen: der Tag hat nur 24 Stunden und auch unser körperliches Leistungsvermögen hat ein natürliches Limit.

Aus Sicht einer Führungskraft ist es oft schwierig einzuschätzen, ob es nun 5 oder 8 Projekte sind, die der Mitarbeiter bewältigen kann. Um die gesamte Arbeitsmenge richtig auf ein Team aufteilen zu können, braucht es Rückmeldung seitens der Mitarbeiter. Und so teilt eine Führungskraft ihrem Team so lange Aufgaben zu, bis jemand ‚Stop‘ schreit oder eben eine Aufgabe nicht mehr schafft. Ein ‚Nein‘ ist somit auch ein ganz wichtiges Signal und ein Richtwert dafür, dass die Grenze der bewältigbaren Arbeitsmenge erreicht ist. Wer immer ‚Ja‘ sagt und damit seine Grenzen überschreitet, der zahlt irgendwann drauf. Mit seinem Privatleben, seiner Gesundheit oder anderen Dingen.

„‘Nein‘ sagen zu jemandem, bedeutet meistens ein ‚Ja‘ zu uns selbst.“[2] Wenn wir lernen wollen ‚Nein‘ zu sagen, müssen wir also erst unsere ‚Jas‘ im Leben kennen. Was wollen wir wirklich? Mehr Zeit für uns selbst? Karriere machen? Endlich das Sportprogramm durchziehen? Und wir müssen lernen, Prioritäten zu setzen: ‚Ja‘ sagen zu den Dingen, die uns wichtig sind und ‚Nein‘ zu jenen, die uns weniger wichtig sind. Ein ‚Nein‘ hat aber noch weitere Vorteile:

  • ‚Nein‘ bedeutet Klarheit. Es signalisiert: ‚Das kannst du von mir erwarten und das nicht‘.
  • Wer ‚Nein‘ sagt, setzt Grenzen und zeigt damit, dass er weiß, was er will und was er nicht will.
  • Ein freundliches ‚Nein‘ kann auch ein Zeichen von Respekt sein, weil wir den anderen nicht unnötig vertrösten.

 

9 Tipps fürs ‚Nein‘-Sagen

  1. Machen Sie sich bewusst, wovor Sie haben Angst haben. Wenn Sie lernen wollen, öfters ‚Nein‘ zu sagen, ist es ratsam, sich zunächst die Ursachen für das Nicht-Nein‘-Sagen-Können vor Augen zu führen. Das bringt oft Erkenntnisse zu Tage, die den Veränderungsprozess erleichtern und beschleunigen.
  2. Versuchen Sie freundlich, aber bestimmt Nein‘ zu sagen. Sie müssen dabei weder besonders ruppig klingen, noch sich klein machen. Immerhin ist es Ihr gutes Recht ‚Nein‘ zu sagen. Gerade dann, wenn Ihnen Arbeiten zugeteilt werden, die nicht zu Ihrem Aufgabenbereich gehören.
  3. Behalten Sie die Zügel in der Hand! Falls es Ihnen nicht gelingt, jemandem eine Bitte abzuschlagen, bestimmen Sie zumindest, wann Sie diese Aufgabe erledigen: „Ich kann das machen, aber erst am …!“
  4. Zeigen Sie, dass Sie sich mit der Bitte Ihres Gegenübers auseinander setzen,B. „Darf ich mir das überlegen? Ich rufe dich in 2 Stunden an und sag dir dann Bescheid.“ Damit gewinnen Sie Zeit und der andere ist bei einem ‚Nein‘ weniger enttäuscht.
  5. Nennen Sie eine kurze Begründung für Ihr ‚Nein‘: „Tut mir leid, ich nehme bei Facebook prinzipiell nur Freundschaftsanfragen von Leuten an, die ich persönlich kenne.“
  6. Machen Sie die Vorteile des ‚Neins‘ deutlich – für sich selbst und für den anderen. Z.B. „Wenn ich heute nicht mehr weggehe, werde ich morgen fit sein für unseren Termin.“
  7. Bieten Sie Ihrem Gegenüber eine Alternative. Das schönste ‚Nein‘ ist eines, das dem anderen weiterhilft, z.B. „Das werde ich nicht schaffen, aber ich empfehle dir Beate, die kennt sich damit wirklich gut aus.“
  8. Bleiben Sie bei Ihrem ‚Nein‘! Wenn Sie immer wieder nachgeben und nach einem bereits ausgesprochenen ‚Nein‘ eine Aufgabe dann doch übernehmen, werden Sie unglaubwürdig und ihr nächstes ‚Nein‘ wird nur mehr halb so viel Wert sein.
  9. Haben Sie Geduld mit sich selbst! ‚Nein-Sagen‘ will gelernt sein und braucht Zeit. Machen Sie kleine Schritte und üben Sie jeden Tag ein kleines ‚Nein‘.

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[1] Platteel-Teur, Tilke (2009): Die Kunst der Intergrativen Atemtherapie: Die Vergangenheit auf Seelenebene heilen. Edition Wolfland. S. 134

[2] ebenda, S. 135

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